Gemeinsame Stellungnahme von Bürgerinitiativen am mittleren Neckar und am mittleren Oberrhein zur Abfallbilanz Baden-Württemberg 2017.
- Interessengemeinschaft Deponien Froschgraben Schwieberdingen und Burghof Horrheim
- Bürger-Initiative Gegen MÜll-Geschäfte (BIGMÜG Buchen)
- Bürgerinitiative GegenGift Heilbronn/UnterLand
- Bündnis für Sichere Verwahrung von Atom-Müll in Baden-Württemberg (Karlsruhe)
- Arbeitsgemeinschaft AtomErbe Neckarwestheim
Anlass:
Vorstellung der Abfallbilanz Baden-Württemberg 2017 durch Herrn Minister Untersteller am Montag 30.07.2018
Bürgerinitiativen fordern ein Umdenken:
Abfall? Da muss vieles anders werden - Mut zur Nachhaltigkeit!
Wer etwas über eine Zivilisation erfahren möchte, muss sich deren Umgang mit ihrem Abfall anschauen. Deshalb begrüßen wir Bürgerinitiativen die jährliche Abfallbilanz für Baden-Württemberg, die am Montag 30.7.18 für das Jahr 2017 vorgestellt wird.
Wir fordern aber Bürger*innen und Politik auf, endlich die dringenden Konsequenzen zu ziehen.
Ein Positiv-Ereignis und Zwei Negativ-Ereignisse veranlassen uns, unseren Appell aus dem letzten Jahr zu aktualisieren:
1) Positiv: Die Ärzteschaft von Baden-Württemberg hat den Manipulationsversuchen des Umweltministers widerstanden und nach einem Fachsymposium im Frühjahr ihre Kritik an der Freisetzung von strahlendem AKW-Schutt bekräftigt.
2) Negativ: auch bei den laufenden Genehmigungsverfahren zum Abbau von Philippsburg 2 und Neckarwestheim II setzen EnBW und Atomaufsicht auf den Grundsatz: am Billigsten ist die Verteilung der Radioaktivität in die Umwelt und auf allgemeine Deponien.
3) Negativ: Der Landkreis Karlsruhe steckt in der Sackgasse, ihm fehlen Deponien. Für radioaktiven Schutt aus den Karlsruher Atomfabriken will man jetzt in Absprache mit dem Umweltministerium ein riesiges Zwischenlager bauen, aus dem dann über Jahrzehnte portionsweise der Strahlenmüll auf Deponien abgegeben werden soll. Und gleichzeitig werden die Lager für den etwas stärker strahlenden Karlsruher Müll immer riesiger. Im Gegensatz zu Herrn Minister Untersteller bei seinem Besuch dort am heutigen Freitag sehen wir gewiss keinen Grund zur Freude.
„Das jetzt ausgedachte ’Interimslager’ soll also die Planungs- und Bauzeit einer Deponie von 15 bis 20 Jahre überbrücken. Dann darf es je nach Strahlung 1.000 bis 3.000 Tonnen pro Jahr an eine Deponie abgeben, scharf am gesetzlich erlaubten Maß für eine Deponie entlang. Bei alleine schon 65.000 Tonnen an ‘eingeschränkt freigegebenem’ Atom-Schutt liegt die irrwitzige Dauer dieses Verschiebeprojektes auf der Hand“, erklärt W. Oberacker vom Bündnis für Sichere Verwahrung von Atom-Müll in Baden-Württemberg, „mit solch einem Unsinn darf Minister Untersteller nicht durchkommen. An dieser Stelle zeigt sich, dass das ganze Freigabekonzept wie ein Kartenhaus zusammenbricht und endlich nachhaltige Deponiekonzepte für den gesamten Freimessmüll realisiert werden müssen, die von unserer Seite aus bereits auf dem Tisch liegen“.
„Die Freigabe von radioaktiv belastetem Material muss neu verhandelt werden. Eine weitere Anreicherung von radioaktiven Stoffen in der Umwelt muss vermieden werden, zumal seit Jahrzehnten eine Berieselung aus den Schornsteinen und Abwasserrohren der Atomkraftwerke stattfindet“, fordert F. Wagner von der Arbeitsgemeinschaft AtomErbe Neckarwestheim und erläutert: „betroffen sind in Baden-Württemberg einerseits Buchen, Schwieberdingen, Vaihingen-Horrheim, Kochendorf, Heilbronn, Wiesloch, Billigheim, Sinsheim und Mannheim als Standorte von Deponien und Müllverbrennungsanlagen, aber besonders auch alle Bürger*innen in ihrem Alltag durch künftig große Mengen an recyceltem AKW-Beton und -Metall. In den momentan laufenden Genehmigungsverfahren zum Abbau der AKWs in Neckarwestheim und Philippsburg zeigen EnBW und Umweltministerium, dass sie weiter auf das fatale Freigabekonzept setzen.“
„Der Raubbau der heutigen Generation an der Zukunft unserer Kinder zeigt sich nicht nur im Ressourcenverbrauch, in Ungerechtigkeit und Klimawandel, sondern auch im Abfall-Erbe, das wir hinterlassen“, betont G. May-Stürmer von der Bürgerinitiative GegenGift Heilbronn/UnterLand, „und am Ende der Müll-Kette, nämlich in der Untertage-Deponie Heilbronn/Kochendorf, sind Wassereinbrüche mit Vergiftung der Biosphäre nur eine Frage der Zeit. Was wir heute ‚Entsorgung‘ nennen, wird unseren Nachfahren noch viele Sorgen bereiten.“
„Auch bei den oberirdischen Deponien erleben wir, dass die Anlagen nach und nach für Abfallarten missbraucht werden, für die sie nicht geeignet sind, zum Beispiel Abrissmüll aus den AKWs und den Karlsruher Atomanlagen“, analysiert Dr. med. Vogt von der Interessengemeinschaft Deponien Froschgraben Schwieberdingen und Burghof Horrheim und ergänzt: „und das in Verbindung mit Schlampereien und Geheimniskrämerei.“
"Der Landrat im Neckar-Odenwald Kreis wurde vom Umweltministerium bis hin zur persönlichen Haftung bedrängt, den Einbau der freigemessenen radioaktiven Reststoffe aus Obrigheim auf der Deponie Buchen-Sansenhecken nicht in Frage zu stellen" kritisiert A. Scheuermann von der Bürger-Initiative Gegen MÜll-Geschäfte Buchen die aktuelle Entwicklung im Neckar-Odenwald-Kreis; „aber stattdessen braucht es dauerhafte und nachhaltige Konzepte. Für den AKW-Abrissmüll heißt das: die Optionen mit geordnetem Verbleib des strahlenden „Freimessmülls“ an den AKW-Standorten müssen endlich ernsthaft angegangen werden. Sicherheit muss vor Sparen gehen.“
„Alle Expert*innen wissen, dass auch niedrige radioaktive Strahlendosen Krebs und andere Krankheiten auslösen können. Trotzdem derart strahlenden Abrissmüll aus den Atomanlagen auf normale Bauschuttdeponien und sogar in das Metall- und Betonrecycling zu geben, obwohl es bessere Möglichkeiten gibt, ist unverantwortlich. Noch dazu wird der Verbleib des meisten Materials noch nicht einmal nachverfolgt“, kritisiert Dr. med. Schmid von der AG AtomErbe Neckarwestheim die derzeitige Politik und präzisiert: „Die Ärztevereinigung IPPNW hat belegen können, dass die Langzeitlagerung des AKW-Schutts in einem spezialisierten Bunker am AKW-Gelände oder die Langzeitsicherung der leergeräumten AKW-Gebäude machbare Alternativen sind, und zwar aus heutiger Sicht die einzigen verantwortbaren Wege für diesen Müll.
Ich bin froh, dass sich nach den Beschlüssen der Vertreterversammlung der baden-württembergischen Ärzt*innen und des Deutschen Ärztetages auch der baden-württembergische Ärztekammerpräsident für ein Moratorium ausgesprochen hat. Er erwartet die Suche nach solchen Wegen für den Umgang mit dem Atomkraftwerk-Schutt, die den größtmöglichen Schutz der Bevölkerung nachhaltig sicherstellen.“
Wir Bürgerinitiativen sind uns einig: Im Umgang mit dem Abfall muss es eine Kehrtwende geben, und das betrifft ganz besonders den giftigen und den strahlenden Abfall.